Mein Traum rückte näher und näher - Die erste Kontaktaufnahme
Ein Jahr im Land der unendlichen Weite, atemberaubenden Natur mit einer einmaligen Seenlandschaft, bekannt für den süßen Ahornsirup und freundliche, weltoffene Menschen - Mein Traum rückte immer näher und näher. Doch wo genau würde ich mein Austauschjahr in Kanada verbringen? An der Ostküste, an der Westküste oder mitten drin? Wer würde meine Gastfamilie sein? Am 10. Juni erhielt ich den mit Spannung und Sehnsucht erwarteten Bescheid. "Lorette, Manitoba", so lautete mein zukünftiger Wohnort für die nächsten zehn Monate. Die geographische Lage dieses Ortes musste ich erstmal im Internet erkunden. Ich hatte keine Ahnung, wo das wohl war. Doch wie sich ziemlich schnell herausstellte, befindet sich Lorette, Manitoba mitten in der Prärie in Kanada in der Nähe von Winnipeg. Nach diesen ersten Erforschungen hieß es Kontakt mit meiner Gastfamilie aufzunehmen. In dem Schreiben wurde mir ein kurzer Telefonanruf empfohlen. Ich war so aufgeregt. Was war, wenn ich meine Gastfamilie nicht verstehen würde oder vor Schreck keinen einzigen Ton herausbekam? Vorsichtshalber schrieb ich mir alles auf einen Zettel auf, was ich so sagen wollte. Die Nummer war gewählt. Es klingelte im Hörer und mein Herz pochte mit zu jedem Klingelton. "Hello?" -"Yes, hello my name is Kerstin Selbach." "Who?" -"Hello, here is Kerstin Selbach talking." " Who?" -"Yes, hello this is Kerstin Selbach." " Who?" (Ich war kurz davor verzweifelt aufzugeben und zu erklären, dass ich mich verwählt hatte. Ich startete einen letzten Versuch.) -"Yes, hello this is Kerstin Selbach talking, your exchange student." "Kööörstin, hello Kööörstin, how are you?" Der Anfang war geschafft.
Der Abflug
Nach dem Austausch vieler Emails mit meiner Gastfamilie, dem Kaufen von Gastgeschenken und der Kofferpackphase hieß es schließlich am 22. August, Abschied zu nehmen. Die Gefühle dieses Tages werde ich wohl nicht so schnell vergessen. Auf der einen Seite musste ich "Tschüs" sagen zu all dem, woraus bis dahin mein Leben bestand und auf der anderen Seite war da diese unbeschreibbare Freude auf das Neue und Unbekannte. Das Flugzeug rollte langsam zur Startbahn. "Bitte anschnallen!" ertönte es zu mir wie durch einen Schleier. Langsam lehnte ich mich nach hinten in den Sitz. Das Flugzeug fing an zu rollen, es wurde immer schneller und raste plötzlich. Mein Herz klopfte. Ich konnte sogar noch mal auf die Besucherterrasse blicken, von der aus vielleicht meine Eltern, meine Familie und meine Freunde mir gerade in diesem Moment noch mal zuwinkten. Die Räder des Flugzeugs hoben ab vom Boden, ich warf einen allerletzten Blick auf meine Heimat, bevor die Maschine durch die Wolken schwebte. Als ich dann den strahlend blauen Himmel über den Wolken wahrgenommen hatte, lautete mein einziger Gedanke: "Kanada, ich komme."
Die Ankunft am Flughafen in Winnipeg
In Kanada angekommen erwartete uns, Austauschschüler, erstmal ein zweitägiges Orientierungsseminar in Toronto während dem wir den atemberaubenden Anblick der Niagarafälle genossen und ein paar Schritte auf dem Glasfußboden des CN-Towers hoch oben über Toronto riskieren konnten, bevor die Weiterreise in unsere Gastfamilien anstand. Als ich das mechanische Geräusch des Ausfahrens der Flugzeugräder vernahm kurz über Winnipeg, hätte ich vor Spannung fast platzen können. In wenigen Augenblicken würde ich meine Gastfamilie, mit denen ich die nächsten zehn Monate zusammenleben würde, kennen lernen. Ich konnte es kaum fassen. Würde ich sie erkennen? Würden sie mich erkennen? In der Ankunftshalle konnte ich durch die riesigen Glasscheiben nach unten in die Eingangshalle schauen, in der viele Leute auf Familienmitglieder, Verwandte und Freunde warteten oder aber auf Ankömmlinge, die es galt erst neu kennen zu lernen, wie uns Austauschschüler. Auf einmal entdeckte ich in dem ganzen Gewimmel ein großes Schild mit pinken Buchstaben, die besagten: "Welcome Kerstin". Ja, das waren einige Mitglieder meiner Gastfamilie! Sie sahen genauso aus wie auf den Fotos. Als ich mich auf der Rolltreppe nach unten befand, lächelten sie mir zu und kamen mir entgegen. Na, der erste Schritt des persönlichen Kennenlernens war schon mal erfolgreich überstanden. Wir hatten uns erkannt!
Meine Gastfamilie
Eine halbe Stunde später befand ich mich mit meinen Gasteltern Karen und Chris, vor ihrem Zuhause, was nun auch mein Zuhause für das kommende Jahr werden würde. Wir hatten kaum das Tor zum Garten aufgedrückt, da stürmten uns zwei Hunde entgegen, ein kleiner und ein großer schwarzer Hund, die mich mehr als herzlich begrüßten und wie ich bald schon feststellen konnte, würde es nicht dabei bleiben, sondern diese herzliche Begrüßung gehörte einfach immer dazu. Anschließend konnte ich im Garten direkt den Swimmingpool entdecken, der mir schon in vielen Emails vorher als zentraler Sommertreffpunkt der Familie angekündigt worden war. In dem Haus selbst habe ich, wie schon erwähnt, zusammen mit meinen Gasteltern Karen und Chris gewohnt plus ihrem Sohn Charles, seiner Frau Simone, ihrem zu dem Zeitpunkt vier Monate alten Baby Cade, zwei Hunden, fünf Katzen und zwei Fischen. Man kann also sagen, dass wir ein ziemlich volles Haus hatten. Darüber hinaus hatten meine Gasteltern noch zwei weitere Töchter, Sheryl und Kari, die beide schon von zu Hause ausgezogen waren. Auch Kari war verheiratet und lebte mit ihrem Mann Gary und zu dem Zeitpunkt fünfeinhalb Monate alten Sohn namens Hunter in Winnipeg, d.h. dass meine Gasteltern gleich zweimal kurz hintereinander stolze Großeltern geworden waren. Trotz der Entfernung kamen alle recht oft zu Besuch, sowie auch der Vater meiner Gastmutter, kurz "Grandpa". Deshalb war in unserem Haushalt wirklich immer etwas los und Langweile war ein absolutes Fremdwort. Die ganze Familie verfügte über einen engen Zusammenhalt, viel Humor und Herzlichkeit, sodass ich mich rundherum wohl gefühlt und jede Minute genossen habe.
Das leckere Essen
Ein paar Worte möchte ich an dieser Stelle gerne zum Essen verlieren, weil es mir die ganze Zeit wirklich immer so richtig gut geschmeckt hat. Hinzu kamen äußerst leckere Chocolate Chip Cookies, gebacken von meiner Gastmutter, sowie andere gebackene Leckereien und immer köstliche Desserts wie z.B. Brownies mit Vanilleeis, bei dessen Erinnerungen mir jetzt noch das Wasser im Mund zusammenläuft. Nur meinem Gewicht hat dies leider nicht ganz so gut gefallen, aber schon zwei Monate nach meinem Austauschjahr war mein ursprüngliches Gewicht wieder hergestellt.
Der erste Schultag
Nach der grundlegendsten Eingewöhnugsphase in die Gastfamilie rückte bald schon wieder ein mit Spannung erwartetes Ereignis immer näher, der erste Schultag. Ich erinnere mich noch ziemlich gut an meine erste Schulstunde in einer kanadischen Highschool. Es war Französisch im French Immersion Programm, d.h. mit Leuten zusammen für die Französisch zwar auch eine Fremdsprache ist, aber die fast alle ihre Fächer seitdem ersten Schuljahr an auf Französisch gelernt haben. Der Schulleiter hatte mir auch ziemlich klar zu verstehen gegeben, dass er diesen Kurs nicht so geeignet für mich hielt, aber ich war fest entschlossen, dass ich mich mit meinen vier Jahren Französisch Fremdsprachenunterricht schon irgendwie dadurch schlagen würde. Tja, und so saß ich in meiner ersten Französischstunde in Kanada und verstand kein einziges Wort. Zum Glück halfen mir meine Mitschüler sofort und erklärten mir immer ganz nett, auf welcher Seite wir uns gerade befanden in der Zeitschrift, die wir bearbeiteten. Doch so schnell wollte ich nicht aufgeben und aus diesem Grund lautete meine Devise raten und wenn irgendwer etwas auf Französisch erzählt hat und plötzlich alle gelacht haben, dann habe ich vorsichtshalber einfach mal mitgelacht, damit es wenigstens ein bisschen so aussah, als wenn ich etwas verstehen würde. An dieser Stelle muss ich allerdings hinzufügen, dass sich diese Situation schon nach einem Monat etwas gewandelt hatte und das Einhören dann doch eigentlich recht schnell verlief. Allem in allem hat mir die Highschool sehr viel Spaß bereitet, da ich viele nette Freunde dort gefunden habe und ich den Unterricht interessant und spannend fand.
Der Alltag
Auf dieser Grundlage stellte sich der Alltag recht schnell ein. Während der Woche waren Schule, Hausaufgaben, Projekte, Tests, Yearbook Commitee und Driver's Ed angesagt und am Wochenende Freunde treffen, Aktivitäten mit der Jugendgruppe der Kirchengemeinde, viele Ausflüge und der sonntägliche Kirchgang, da meine Gasteltern sehr aktiv in der Kirchengemeinde waren. An diesem Punkt muss ich einfach mal das tolle Gemeinschaftsgefühl und den starken Zusammenhalt der Kirchengemeinde hervorheben, wovon ich sehr beeindruckt war, sowie auch von der Atmosphäre und der mitreißenden Musik. Ich habe immer gerne an Aktivitäten der Kirche teilgenommen, weil man immer etwas Neues lernen konnte und durch die aktive Jugendgruppe konnte ich mir gleich zwei Freundeskreise aufbauen, einen in der Kirchengemeinde und einen in der Highschool.
Highlights
Dennoch sollte ich betonen, dass der beschriebene Alltag wirklich nur eine Art Grundstruktur bildete, da bestimmt nicht eine Woche ohne Höhepunkte verlief. Mit Höhepunkten meine ich z.B. Feiertage wie Thanksgiving, Halloween, Christmas, Easter und Canada Day sowie auch Geburtstage, an denen die ganze Gastfamilie zu gemeinsamen Abendessen zusammen gekommen ist. Außerdem gehören für mich zu den absoluten Highlights die schulfreien Wintertage, an denen es mit -50° C zu kalt war zur Schule zu gehen, die einmalige Erfahrung Schlitten zu fahren bei -27° C, das diesjährige Schultheaterstück, bei dem ich selbst eine kleine Rolle als "Mrs. Witherspoon" ganz zum Schluss hatte, eine Rede, die ich für meine Freunde und Gastfamilie über meine Heimat gehalten habe, ein französischsprachiger Redewettbewerb in dem frankophonen College von Winnipeg, ein frannkophoner Theaterwettbewerb, eine Jugendkonferenz in Regina und der kanadische Führerschein, sowie die Graduation!
Ein kurzer Rückblick
Auf diese Art und Weise hatte ich ein bunt gemischtes und sehr ausgefülltes Austauschjahr in Kanada, welches für mich eine unvergesslich tolle Zeit mit vielen neuen Erfahrungen darstellt, während der ich viele enge Freunde und eine zweite Heimat gewonnen habe. Als ich nach dem Rückflug versucht habe, meine Gasteltern von zu Hause aus anzurufen, klopfte mein Herz zwar wieder, als ich die Klingeltöne in der Leitung vernahm, doch ich hatte mir diesmal keinen Zettel geschrieben. Der Hörer wurde abgenommen. "Hello?" -"Hello. This is Kerstin-" "Hi Sweetheart. How are you? Did you have a good flight? When are you coming home?..."
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