(4.6)
Mein Auslandsschuljahr in Argentinien in Worte zu fassen, ist kaum möglich. Es war in vielerlei Hinsicht das beste Jahr meines Lebens.
Wenn man aus dem straff durchorganisierten Deutschland kommt, ist es schon etwas besonderes, die legere und lockere Lebensweise der Argentinier im Schüleraustausch kennenzulernen und man wird einfach angesteckt von der Lebensfreude und der Fröhlichkeit. Wir haben ganze Tage damit verbracht, zusammenzusitzen, zu reden, und dabei das asado und das Mate-trinken zu zelebrieren. Die Offenheit, das Gemeinschaftsgefühl und die freundschaftliche Art sind überall zu spüren und geben einem von Anfang an das Gefühl, dazuzugehören. So war es auch in der Schule kein Problem, Anschluss zu finden und dem Unterricht folgen zu können. Das Tragen der Uniform, die für mich unter anderem aus Rock, Halbschuhen, Poloshirt und Kniestrümpfen bestand, war für mich etwas ganz besonderes und nie lästig, genauso wie das Singen der Nationalhymne an wichtigen Feiertagen oder die tägliche Morgenbesinnung. Eine katholische Halbprivatschule besuchen zu können, verschafft einem einen Einblick in verschiedene gesellschaftliche Schichten und Lebensweisen. Hausaufgaben wurden oft in Gruppen erledigt, wozu man sich auch zu Hause getroffen hat. Dass eigentlich an argentinischen Schulen kein Angebot an Wahlfächern vorhanden ist, war in keinerlei Hinsicht von Nachteil, da trotzdem vieles geboten war. Nachmittags fand zum Beispiel der Sportunterricht statt, der bei den Jungs vor allem aus Fußball oder Volleyball bestand, bei den Mädchen
eher aus Hockey und Handball. Auch hier war das Tragen der Uniform, ein hellblauer Jogginganzug, Pflicht.
Außerdem haben wir als Abschlussjahrgang zahlreiche Veranstaltungen organisiert, wie Quizshows oder wir haben auch Hähnchen gegrillt und verkauft, um Geld für die Abschlussfahrt in den berühmten Winterskiort San Carlos de Bariloche zu sammeln. Diese Fahrt dauerte 16 Tage und entspricht in etwa einer Abifahrt. Für viele Schüler war es etwas besonderes, da sie zum ersten Mal Schnee erleben konnten. Selbst wenn am Wochenende wie so oft die Nacht zum Tag gemacht wurde, da man mit der Gastfamilie erst um 11 Uhr abends mit dem Grillen begonen hat oder ich mich mit Freundinnen zu Hause zur Pyjama-Party getroffen habe, war jeder Sonntagmorgens pünktlich, um in der Schule die Vorbereitungen für die Veranstaltungen zu treffen. Ich empfand es als eine äußerst schöne Erfahrungen, dass mit dem eingenommenen Geld gerade diejenigen Mitschüler unterstützt wurden, deren Familie die Fahrt nicht finanzieren konnten.
Meine zweite Gastfamilie im Austauschjahr war ein absoluter Glücksgriff. Auf meine Gastgeschwister Manuel und Paula (damals 17 und 16) und meine Eltern war immer Verlass und wir haben uns super verstanden. Gemeinsam haben wir viele Teile Argentiniens erkundet, aber auch Colonia del Sacramento in Uruguay. Die Reise mit der Partnerorganisation COINED durch die Provinz Misiones bis zu den Iguazú-Wasserfällen und dem Dreiländereck Argentinien-Brasilien-Paraguay war eine einmalige Gelegenheit, nicht nur Austauschschüler aus aller Welt kennenzulernen, sondern auch kulturell wichtige Erfahrungen zu sammeln. Die Vielseitigkeit und Weite des Landes ist wirklich einmalig. Für die Argentinier ist es selbstverständlich, ihr Land mit dem Bus zu durchqueren, auch wenn es bis zum Zielort einige hundert Kilometer sind. Es ist bereichernd, die Einfachheit und Gelassenheit dieser Menschen kennenzulernen, denen soziale Kontakte wichtiger sind, als die Penibilität.
Heute frage ich mich oft, weshalb ich damals so lange gezögert habe und die Chance, als Austauschschülerin im Schüleraustausch nach Argentinien zu gehen, beinahe ungenutzt gelassen hätte. Meine Sorgen waren wirklich unbegründet und die herzliche und fröhliche Mentalität der Argentinier stellte für mich in den ersten Tagen eine enorme Hilfe dar, um sich ohne Spanischkenntnisse zurechtzufinden. Ich kann nur jedem raten, diesen Schritt zu wagen und seinen Traum endlich wahr werden zu lassen, denn diese Möglichkeit, eine andere Sprache und Kultur so intensiv kennenzulernen und an wertvollen Erfahrungen zu gewinnen, hat man nur einmal im Leben. Und ich bin unendlich froh, diese Chance gelebt zu haben.
Vorbereitung:
Die Vorbereitung auf meinen Schüleraustausch war sehr umfangreich. Ich habe detaillierte Informationen erhalten und auf dem zweieinhalb-tägigen Vorbereitungsseminar hatte ich die Möglichkeit, nicht nur meine letzten Fragen zu stellen, sondern auch über die Erfahrungen von ehemaligen Austauschschülern zu hören und mich mit anderen Austauschschülern auszutauschen, die auch kurz vor ihrem Abenteuer standen. Ich fühlte mich insgesamt sehr gut gerüstet.
Betreuung:
Die Betreuung während meinem Austauschjahr durch DFSR war super! Ich konnte mich immer an die Organisation wenden und erhielt in der Regel sehr schnell eine Antwort. Auch empfand ich die Betreuung als sehr persönlich und individuell, da ich keine Aktennummer war.
Ansprechpartner:
Ich hatte durchgehend ein- und dieselbe Betreuuerin bei DFSR, was sehr von Vorteil war, da diese somit immer bestens Bescheid wusste, was aktueller Stand der Dinge ist. Außerdem hatte sie selbst ein Auslandsschuljahr verbracht und konnte sich bestens in einen hineinversetzen.
Familie:
Ich hatte zwei Gastfamilien. Mit der ersten klappte es einfach nicht so gut, da wir eigentlich kaum gemeinsame Interessen hatten und sich die Familie nicht so wirklich bewusst war, was es bedeutet, einen Gastschüler aufzunehmen.
Dafür war aber die zweite Gastfamilie die beste, die man sich wünschen konnte! Ich wurde einfach in das Familienleben eingebunden, egal ob Ausflüge, Einkäufe im Supermarkt oder Tierarztbesuche. Ich fühlte mich schon nach kurzer Zeit wie ein Familienmitglied, mit allen Rechten und Pflichten. Ich hatte wirklich die Zeit meines Lebens.
Schule:
Ich war an einer katholischen Halbprivatschule mit Uniformpflicht. Zudem kann man in Argentinien eigentlich nur eine Orientierung bzw. einen Zweig wählen (ich wählte den naturwissenschaftlichen) und kaum zusätzliche Fächer (extracurricular activities). Dennoch fühlte ich mich sehr wohl, da meine Mitschüler und Lehrer alle sehr hilfsbereit und herzlich waren und Interesse an meiner deutschen Kultur zeigten. Meine anfänglichen Sprachprobleme legten sich dadurch sehr bald, dass ich einfach in alles miteingebunden wurde. Außerdem legte die Schule durch ihre religiöse Orientierung großen Wert auf die Persönlichkeitsentwicklung. Dies zeigte sich durch zahlreich Veranstaltungen, die wir Schüler organisierten. Außerdem hatte ich das Glück, an der Abschlussfahrt nach Bariloche teilzunehmen. Das von den Veranstaltungen eingenommene Geld wurde für diejenigen Mitschüler verwendet, die diese Fahrt alleine nicht finanzieren konnten. Auch wenn ich an sich kein wahnsinnig religiöser Mensch bin, war es durchaus eine positive Erfahrung, eine katholische Schule zu besuchen.